Seismografien am Rande der Erzählbarkeit,
Registrationen von Erschütterungen aus dem Erdinneren,Eruptionen, die an der
Oberfläche nur
ein Geringes an Zerstörung am Werk hinterlassen- so könnte ein Versuch der
Annäherung an Alfred Bibers Kunst lauten,eingedenk seines
Mottos:ich nehme den Inhalt und gebe dafür den Ausdruck.Gewiß,die Zerstückelung
ist für ihn,den Dionysiker,nicht Zerstörung,sondern ein
umgekehrter Geburtsvorgang,eine Wiedergeburt, ein psychologischer Prozess.Ein
Subjekt hat sich aus der Finalität zu befreien,in die es
sich zunächst verstrickt hat. Malerei ist für Biber tätige,ins materielle
übernommene Philosophie und seine Übermalungen haben den Sinn,
selbständige Formen,die immerwährende Gegenwart bedeuten,hervorzu-bringen,diese
kommen zu den schon vorhandenen Formen,die
Vergangenheit bedeuten,dazu-und schaffen ihre eigenen Gesetze:.einen
Spannungszustand so aufzubauen, daß der Betrachter die Chance hat,
sein eigenes Gefühl kennenzulernen und selbst eine Entscheidung zu treffen.
Biber will das Unmögliche ermöglichen:die Addition der widersprüchlichsten
Teile,doch-da ist ein Rest,und dieser Rest ist für ihn sein Recht auf die Lust
am Werk, die André Thomkins im Wort „Kunstmaler"schon anagrammatisch
angelegt sah.Sein Programm der Unordnung ist seine einzige Wahl,Biber muß die
Dinge auf der Malfläche in Bewegung halten,er befreit vom vorgegebenen
Begrenzten,das doch nur einen Ausschnitt darstellen kann,das Ungenügen an diesem
kompensiert er in der Annullierung einiger Partikel, dabei handelt es sich
um die Sichtbarmachung des Unsichtbaren,des Unterstreichens,Hervor-hebens von
einigen wenigen Exzerpten, die pars pro toto zur Überwindung des Bestehenden
herhalten und Lebens-wie Lesezeichen sind. Biber spricht vom zweifachen
Scheitern,das Tiefe schaffe! Erstens scheitert der Einstieg-diese präformierten
Einstiegshilfen auf der Malfläche,diese Köder und schließlich zweitens auch das
Ausradieren,wie heißt es bei Franzobel:"es hat keinen Reiz,etwas zu tun,woran
man nicht scheitern kann!"-und liegt nicht im Scheitern das Schreiten,demnach a
priori-das VORAN!
Pascal wußte doch schon:"alles,was unbegreifbar ist,hört nicht auf zu sein!"und
liest sich nicht die kleine Geschichte Kafkas von der Sorge des Hausvaters rund
um
Odradek wie die Illustration dieses Gedankens? Das,was Biber anstrebt,ist
absolute Malerei,eine Malerei also,die den Anspruch von sich erhebt,selbst der
Inhalt
ihrer Form zu sein.Das wird doch nicht verwundern bei einem Menschen,dessen Name
sich anagrammatisch auflösen läßt in „Leib der Farbe,der Farbe lieb,oder
schlicht in Bilderfarbe-und noch so vielem mehr.Alfred Biber ist gleich der Leib
der Farbe,der corpus der Farbe,die Bilderfarbe par excellence.Oft und oft wurde
bereits
darauf hingewiesen,daß schon in Rembrandts Bildern Stellen vorhanden sind,wo die
Farbe als Substanz dem sogenannten Inhaltlichen stärkste Konkurrenz liefert.
Es geht Biber um die Aktivierung der Wahrnehmung, um die Entlassung aus unseren
Sehgewohnheitsbahnen,mit einem Wort um die Regenerierung der
Erlebnisfähigkeit mittels Kunst und zwar einer Kunst,die weh tut.Ein Affront zum
lauen Vegetieren, Artauds"Theater der Grausamkeit" mag einem da in den Sinn
kommen
und ganz gewiß Hermann Nitsch´s Gesamtkunstwerk. Biber´s Malerei ist gegen das
Bekannte gerichtet,gegen das Bekannte,das uns in der Erkenntnis nicht weiter
hilft,
Kunst ist für Biber der Brunftschrei des Menschen,das Bekenntnis zur Vitalität
aus Prinzip.Kunst steht auf einmal da als das Wichtigste auf der Welt.Nitsch
hebt die ekstatisch
exzessiven Farbaufträge Bibers hervor,das Fliessen des Seins,die Seismografien
abstrakter,expressionistischer Gestaltung und Biber selbst weist darauf hin,daß
es sich bei
der Malerei und insbesondere seiner, "um einen Kraftakt handle,der ins Dasein
weist." Für mich ist Biber in seiner Malerei ein Entdecker,Forscher und Finder
zugleich,
funktionstüchtig wie eine Stufenrakete,die sich selbst zündet. Den Auslöser
findet er im Eros,dem er, was man gut verstehen kann,verhaftet ist.Seine Kunst
ist zutiefst sinnlich,
brachial,ein Aufbäumen gegen eine ihm nicht entsprechende Wirklichkeit, die nach
seinem Dafürhalten entstellt,gedreht,umschrieben,zugestrichen,mediativ verdeckt
oder
aggressiv zugepanscht wird. Er malt die grellen Spiegel, in denen das Drama
menschlichen Seins explodiert, zieht sich immer wieder in seine Farbräusche
hinein,
zwischen Ordnung auf der einen Seite und Chaos auf der anderen,eine Art Rythmus
des Gezeigten und des Geheimen, ein Bekenntnis zur Lust am Bild,zum Bild der
Lust.
Ein Schaffen,das mental in den obsessiven Schlachtfeldern der" Wiener
Moderne"wurzelt.
GERHARD JASCHKE
Institut f.Gegenwartskunst der Akademie der bildenden Künste in Wien
Herausgeber von Freibord/Zeitschrift für Literatur und Kunst